Kinderkrankheit mit dramatischen Folgen
Windpocken sind zwar eine weitgehend harmlos, sie legen aber den Grundstein für eine weit schwerere Erkrankung. Nach dem Abheilen der Windpocken verweilt das Varizella-Zoster-Virus bei jedem Infizierten inaktiv in den Nervenganglien. Wird es im Laufe des Lebens reaktiviert, bildet sich der stark schmerzende Hautausschlag der Gürtelrose.
Inhaltsverzeichnis
Schläfer in den Nervenganglien – Reaktivierung des Virus
Fast alle Menschen in Deutschland bekommen in ihrer Kindheit die Windpocken. Oft werden sogar „Windpocken-Parties“ veranstaltet, damit sich möglichst viele Kinder mit dem Virus anstecken können und die Krankheit hinter sich bringen. Damit sind sie zwar gegen die Windpocken immun, aber das Virus haben sie nicht endgültig überwunden. Denn oft kehrt es noch einmal wieder und verursacht dann eine weitere Krankheit – die Gürtelrose.
Im Spinalganglion (roter Kreis) überdauern die Viren jahrzehntelang, bis sie reaktiviert werden.
Die Windpocken werden vom Varizella-Zoster-Virus ausgelöst. Wenn die Erkrankung überstanden ist, ziehen sich die Viren in die Nervenganglien in der Wirbelsäule, die sogenannten Spinalganglien zurück. Dort verbleiben sie meist inaktiv über mehrere Jahrzehnte, ohne dass sie Symptome verursachen. Diese Zeit, in der die Viren „schlafend“ im Körper verweilen, nennt man Latenzphase.
Im fortgeschrittenen Lebensalter kann es dann zu einer Reaktivierung des Virus kommen. Auslöser können Stress, UV-Strahlung oder Erkrankungen sein. Häufig haben die Betroffenen ein geschwächtes Immunsystem, etwa durch eine HIV- Infektion, Krebs oder durch die Immunsuppression nach einer Organtransplantation.
Im Gegensatz zu anderen Viruserkrankungen ist die Gürtelrose also keine Infektion im eigentlichen Sinne. Denn das Virus befindet sich bereits seit langer Zeit im Körper. In der medizinischen Fachsprache ist die Gürtelrose ein „endogenes Rezidiv“, also ein Rückfall, der aus dem Körper selbst entsteht. In der Regel erkranken Menschen nur einmal im Leben an der Gürtelrose.
Der Ausschlag beschränkt sich auf einen Hautbereich, das Dermatom.
Die Reaktivierung und die folgende Vermehrung der Viren führen zu einer Entzündung des Nervenganglions und des dazugehörigen sensorischen Nervs. Die Viren wandern entlang des Nervs zur Haut. Auf dem Hautbereich, der zum Versorgungsbereich des betroffenen Nervs gehört, dem Dermatom, bildet sich der charakteristische Hautausschlag.
Typische Krankheitssymptome: Bläschen und Schmerzen
Oft beginnt die Gürtelrose mit unspezifischen Krankheitszeichen: allgemeines Unwohlsein, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, leichtes Fieber. Meist treten auch schon vor den Hauterscheinungen Schmerzen auf. Das entzündete Nervengewebe verursacht ein brennendes Gefühl im betroffenen Dermatom und auch Schmerzen im Nervenstrang selbst (meist im Bereich von Rumpf, Schulter oder Hals). Manche Betroffene leiden auch kurz vor dem Ausbruch der Krankheit an Zahn-, Rücken- oder anderen Schmerzen.
Zwei bis drei Tage nach den ersten Symptomen treten erhabene gerötete Stellen auf der Haut auf, die jucken und schmerzen. Dann bilden sich dicht beieinander stehende Knötchen, die sich zu Bläschen weiterentwickeln. Die Bläschen füllen sich mit einer klaren oder weißlichen Flüssigkeit. Die Haut an den betroffenen Stellen juckt und schmerzt immer mehr. Schon leichte Berührungen fühlen sich für den Erkrankten unangenehm an.
Die Lokalisation der Hauterscheinungen wird durch das Versorgungsgebiet des entzündeten Nervs bestimmt und ist deshalb meist stark begrenzt. Alle Dermatome können betroffen sein, am häufigsten tritt die Gürtelrose aber am Brustkorb und am Kopf auf, gelegentlich auch an Rücken, Armen und Beinen. Sie kann auch den Genitalbereich befallen. Den Nervenbahnen folgend tritt der Ausschlag fast immer halbseitig auf. Nur in Ausnahmefällen übertritt er die Körpermitte oder erscheint beidseitig.
In seltenen Fällen läuft die Gürtelrose auch ohne sichtbare Bläschen ab (Zoster sine herpete). Die Symptome beschränken sich dann auf die begleitenden Schmerzen.
Krankheitsverlauf: Abheilung nach etwa vier Wochen
Nach etwa drei bis fünf Tagen sind die Bläschen voll ausgebildet. Der Ausschlag kann mehrere Tage bis zu zwei Wochen anhalten, dann platzen die Bläschen auf, trocknen aus und verkrusten. Diese Phase dauert noch einmal bis zu zwei Wochen. Normalerweise sind die Hauterscheinungen nach etwa drei bis vier Wochen verschwunden. Nach der Abheilung können aber Narben oder Pigmentveränderungen zurückbleiben. Die Hautstellen sind dann entweder dunkler oder heller als die übrige Haut.
Bei unkomplizierten Krankheitsverläufen verschwinden die Schmerzen in der Regel mit oder kurz nach dem Ausschlag. In vielen Fällen, vor allem bei älteren Menschen, halten sie aber noch monatelang an. Diese chronischen Schmerzen nennt man postzosterische Neuralgie (PZN) (siehe unten).
Nach einigen Tagen platzen die Bläschen auf und verkrusten.
Schwere Verläufe und Komplikationen: Besonders riskant im Kopfbereich
Typischerweise befällt die Gürtelrose den Rumpf und den Nacken. Wenn aber die Viren in den Hirnnervenganglien überdauert haben, ist auch eine Beteiligung des Kopfes möglich. Sind dann die Bereiche um das Auge oder das Ohr betroffen, kann es zu schwerwiegenden Folgeschäden kommen. Daher ist ein Arztbesuch bei Gürtelrose unbedingt notwendig – und bei einem Befall am Kopf erst recht.
Beteiligung des Auges
Befällt das Virus den Trigeminus-Nerv im Gesicht, ist auch das Auge betroffen.
Befallen die Viren den ersten Ast des Trigeminus-Nervs im Gesicht, ist auch das Auge betroffen (Zoster ophthalmicus). Dann können sich Bläschen auf Bindehaut, Regenbogenhaut und Hornhaut bilden. Symptome einer Augenbeteiligung sind, neben den Gürtelrose-typischen Schmerzen, ein Fremdkörpergefühl im Auge, erhöhte Lichtempfindlichkeit und manchmal Sehstörungen. Kommt es zu einer Vernarbung der Hornhaut, kann das in schweren Fällen zur Erblindung führen.
Beteiligung des Gehörgangs
Der Zoster oticus bezeichnet eine Gürtelrose des Gehörgangs. Es besteht die Gefahr von nachfolgender Schwerhörigkeit, von Tinnitus und Taubheit. Auch Gleichgewichtsstörungen und Schwindelgefühle sind möglich. Da der betroffene Nerv auch Teile des Gesichts versorgt, kann eine Lähmung von Gesichtsmuskeln auftreten; auch der Geschmackssinn kann verloren gehen. Diese Erscheinungen bilden sich zwar meist wieder zurück, sie können in seltenen Fällen aber auch bestehen bleiben.
Beteiligung des Nervensystems
Gürtelrose kann auch zu Entzündungen der Hirnhaut (Meningitis), des Hirngewebes (Enzephalitis) und des Rückenmarks (Myelitis) führen. Diese Komplikationen sind aber selten und treten meist nur dann auf, wenn das Immunsystem durch andere Erkrankungen ohnehin schon geschwächt ist. Eine mögliche, aber seltene Folge der Nervenbeteiligung ist das Guillain-Barré-Syndrom: Von den Beinen bis zum Rumpf steigt eine Muskelschwäche auf, die zur vorübergehenden vollständigen Lähmung des Körpers führen kann.
Ist das Immunsystem geschwächt, kann es zum Zoster generalisatus mit Bläschen am ganzen Körper kommen.
Bei immunsupprimierten Patienten kann es auch zum sogenannten Zoster generalisatus oder disseminatus kommen. Die Viren streuen ins Blut und befallen das gesamte Nervensystem und auch die inneren Organe. Die Organschäden können lebensbedrohlich sein. Beim Zoster generalisatus sind die Bläschen nicht auf einzelne Dermatome beschränkt, sondern erscheinen am ganzen Körper. Sie sind daher schwer von den Windpocken abzugrenzen.
Postzosterische Neuralgie: Chronische Dauerschmerzen
Die häufigste Komplikation bei der Gürtelrose ist, dass die Schmerzen bleiben. Die Ärzte sprechen von einer postzosterischen Neuralgie(PZN) (auch: post-herpetische Neuralgie), wenn der Schmerz nach dem Abheilen der Hauterscheinungen mehr als drei Monate weiter andauert oder wiederkehrend ist. Typisch ist dabei der brennende Dauerschmerz, weniger der einschießende stechende Schmerz.
Die Ursache für die Schmerzen ist, dass sich bei der Gürtelrose Nerven entzündet haben und teilweise zerstört wurden. Die Medizin spricht daher auch von neuropathischen Schmerzen. Außerdem spielen veränderte Signalverläufe im Nervensystem eine Rolle: Wenn über lange Zeit starke Schmerzreize ans Gehirn geleitet werden, kann ein Schmerzgedächtnis entstehen – die Schmerzen verselbstständigen sich und werden chronisch.
Weitere Informationen zu chronischen Schmerzen finden Sie im Themenspecial „Schmerz“.
Bei etwa 10 bis 20 Prozent der Gürtelrose-Patienten kommt es zu einer postzosterischen Neuralgie. Das Risiko steigt aber mit dem Alter stark an: Bei den über 55-Jährigen sind durchschnittlich 27 Prozent betroffen, bei den über 60-Jährigen knapp die Hälfte. Patienten, die älter als 70 Jahre sind, leiden in über zwei Drittel der Fälle unter anhaltenden Schmerzen. Erfahrungen zeigen, dass Frauen und Patienten mit Zoster ophthalmicus häufiger eine postzosterische Neuralgie bekommen. Sie tritt auch dann verstärkt auf, wenn die Therapie nicht rechtzeitig begonnen wurde oder nicht ausreichend war.
Die Betroffenen klagen über starke brennende oder bohrende Schmerzen, die dauerhaft sind oder in kurzen heftigen Attacken kommen können. Zum Teil treten sie auch bei Berührung auf. Für die Patienten bedeuten sie eine erhebliche physische und psychische Belastung und eine starke Minderung der Lebensqualität. In den schlimmsten Fällen halten die Schmerzen ein Leben lang an und können die Betroffenen sogar in den Suizid treiben. Eine Schmerztherapie kann helfen, aber nicht die Ursache, die Zerstörung der Nerven, beheben.
Diagnose: Meist reicht bereits ein Blick
In der Regel reichen für den Arzt die Krankengeschichte und der charakteristische, meist halbseitige und deutlich begrenzte Hautauschlag aus, um die Diagnose zu stellen. Wenn der Patient allerdings wegen der starken Schmerzen zum Arzt geht, noch bevor der Hautausschlag sichtbar ist, kann es auch zu Fehldiagnosen kommen. Nach dem Auftreten der Bläschen ist die Diagnose aber meist klar. Sind die Symptome weniger eindeutig, kann auch eine zusätzliche Laboruntersuchung notwendig sein. Dann macht der Arzt einen Abstrich der Bläschenflüssigkeit, um das Virus nachzuweisen und die Erkrankung gegen eine Herpes simplex-Infektion abzugrenzen. Auch eine Blutuntersuchung kann bei der eindeutigen Diagnose des Virus-Typs helfen, da im Blut Antikörper gegen das Virus vorhanden sind.
Treten Symptome wie Bewusstseinsstörungen oder Lähmungen auf, kann das auf einen Befall von Gehirn oder Rückenmark hinweisen. In diesem Fall ist es notwendig, die Rückenmarksflüssigkeit, den Liquor, zu untersuchen.
Bei einer Infektion mit Varizella-Zoster-Viren von Schwangeren und Neugeborenen und bei untypischen Krankheitszeichen von immungeschwächten Patienten ist eine Labordiagnostik immer angezeigt.
Da eine Gürtelrose oft ein Hinweis auf ein geschwächtes Immunsystem ist, untersucht der Arzt den Patienten außerdem auf eine mögliche Grunderkrankung. Gürtelrose gilt beispielsweise als frühes Warnzeichen für eine HIV-Infektion. Daher sollte bei Patienten unter 50 Jahren immer ein Bluttest gemacht werden, um eine HIV-Infektion als Auslöser auszuschließen.
Wer den Verdacht hat, an Gürtelrose erkrankt zu sein, sollte schnellstmöglich (innerhalb von 48 Stunden) einen Arzt aufsuchen. Denn eine frühzeitige Behandlung mit antiviralen Mitteln kann den Verlauf erleichtern und das Risiko senken, dass es zu Komplikationen oder einer postzosterischen Neuralgie kommt.
Video vom: 15.06.2009
Text aktualisiert am: 16.04.2013
Literatur:
Deutsche Dermatologische Gesellschaft, Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Infektiologie: Leitlinie. Zoster und Zosterschmerzen. In: Chemotherapie Journal, 11. Jg., Heft 5/2002.
Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen. AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/114, 2005.
Harland, Simone/Haustein, U.-F.: Herpes und Gürtelrose. Die heimliche Volkskrankheit. 1999. Berlin: Urania Verlag.
Robert Koch Institut, Abteilung für Infektionsepidemiologie: RKI-Ratgeber Infektionskrankheiten – Merkblätter für Ärzte, Stand 2006
Prof. Dr. med. Peter Wutzler, Institut für Virologie und Antivirale Therapie, Universitätsklinikum Jena
Bilder: Prof. Dr. Sawko Wassilew (1), CDC/Joe Miller (1), Heinrich Public Relations Consultants (1), Wikimedia Commons/GNU Free Documentation License (1)
Glossar
Antikörper
Bestandteile des körpereigenen Immunsystems, sie werden von speziellen weißen Blutzellen (B-Zellen) gebildet. Antikörper sind in der Lage, bestimmte „körperfremde“ Strukturen (Antigene) auf der Oberfläche von Zellen zu erkennen und daran anzudocken. Dadurch sind diese Zellen markiert und sichtbar für die Killerzellen des Immunsystems. Antikörper können aber auch gezielt Rezeptoren auf der Oberfläche von Zellen besetzen und damit die Weitergabe von Signalen innerhalb der Zelle unterbrechen.
Bindehaut
Schleimhaut in der Augenhöhle im vorderen Augenabschnitt
Herpes simplex
Infektionen, die durch Herpes-simplex-Viren hervorgerufen werden. Umgangssprachlich wird für den Lippen- oder Genitalherpes auch die Kurzform Herpes verwendet.
HIV
Humanes Immundefizienz-Virus, d.h. menschliches Immunschwäche-Virus, das nach einer Ansteckung zu einer meist mehrjährigen Latenzphase (siehe dort) und dann zu AIDS führt, einer derzeit noch unheilbaren Immunschwächekrankheit. Das Virus wird über das Blut oder über andere Körperflüssigkeiten (beim Geschlechtsverkehr) übertragen.
Hornhaut (Kornea)
durchsichtiger vorderer Teil der Augapfelhülle
Immunität
Unempfindlichkeit des Körpers gegen bestimmte Krankheitserreger, gegen die sein Immunsystem Abwehrkräfte entwickelt hat
Immunsuppression
Unterdrückung der Reaktionen des Immunsystems durch Medikamente; verhindert bei Transplantationen (siehe dort) die Abstoßung des transplantierten Organs.
Nervenganglion
Knotenförmiges Gebilde des Nervensystems außerhalb des zentralen Nervensystems (siehe dort), in dem Zellkörper von Nervenzellen angehäuft sind; Nervenknoten
neuropathischer Schmerz
Schmerz, der nicht die Folge eines Schmerzreizes ist, sondern durch Erkrankungen oder Schädigungen im Nervensystem entsteht
Pigment
Farbstoff im Körper
Regenbogenhaut
auch: Iris; durch Pigmente gefärbte Blende des Auges
Schmerzgedächtnis
Lang anhaltende oder besonders starke Schmerzen führen zu einer Veränderung der Nervenzellen im Rückenmark, die diese gegenüber jeglichen Reizen empfindlicher macht.
Suizid
Selbstmord
Tinnitus
Symptom, bei dem der Betroffene Geräusche wahrnimmt, die keine äußere Quelle besitzen.
Transplantat/Transplantation
Natürliches Material aus Zellen oder Geweben zur Transplantation. Dabei unterscheidet man:
• Autologe Transplantation: Spender und Empfänger sind eine Person
• Syngene Transplantation: Spender und Empfänger sind genetisch identisch, z.B. eineiige Zwillinge
• Allogene Transplantation: Spender und Empfänger gehören zur gleichen Art
• Xenogene Transplantation: Spender und Empfänger gehören unterschiedlichen Arten an, z.B. Schwein zu Mensch
Trigeminus
fünfter Hirnnerv, der große Teile des Kopfes versorgt
Varizella-Zoster-Virus
Herpes-Virus, das Windpocken und die Gürtelrose auslöst
Windpocken
Durch das Varizella-Zoster-Virus (siehe dort) ausgelöste und durch Tröpfcheninfektion übertragene Erkrankung, die sich in einem juckenden Hautausschlag mit Bläschen und Fieber äußert. Windpocken betreffen vor allem Kinder im Vorschulalter.
Zentrales Nervensystem (ZNS)<br /Gehirn und Rückenmark; Nervengewebe, das Sinnesreize verarbeitet, Bewegungen koordiniert und die Abstimmungsvorgänge im Körper reguliert